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Die Sehnsucht der Pförtnerin
Der Winter neigte sich lautlos seinem Ende. Kein Schnee mehr. Kaum Frost. Grüne Triebe erleuchteten verdorrte Blätter und Knospen glänzten in der milden Sonne. In der ockergelben Villa freuten sich alle darüber. Kein Termin musste wegen des Wetters überzogen werden. Zum ersten Mal machte die Agentur Gewinn.
Aber Femke fühlte sich trotz Gehaltserhöhung betrogen. Bei klirrendem Frost im Dezember hatte sie regelmäßig Besuch bekommen, der sich in ihrem Diensthäuschen am kleinen Ofen wärmte.
Von ihrem Butterbroten hatte er nur den Käse genommen. Er war nicht nur bescheiden, sondern auch schweigsam. Er war der erste Besuch mit dem das Schweigen Spaß machte.
Femke war sowieso keine Frau von vielen Worten. Und der Job als Pförtnerin war wie geschaffen für sie: Schranke öffnen, wenige Telefonate und viel Gartenarbeit.

An einem Montag im Februar schaute sie wieder sehnsüchtig in den Park. Die ersten Krokusse öffneten ihre Kelche und die Weidenkätzchen spiegelten sich im Wasser des Schwanenteiches. Am Ende des Kiesweges am Portal der Villa saßen die Marmorlöwen unbeweglich. Unbeweglich? Nein, zu Füßen des rechten Löwen bewegte sich etwas.
Femke packte ihr Fernglas und stellte es scharf. Rostbrauner Overall. Das musste ER sein! Die Tür flog auf, Kiesel spritzten und der Rasen federte unter Femkes Füßen. Die letzten Schritte vor dem Portal wurden langsamer.
Sie wollte ihn nicht erschrecken. Den roten Kater mit seiner schlaffen Maus.
"Wo WARST du nur so lange?" Schnell verschwand ein Schwänzchen wie Spaghetti in der grinsenden Schnauze. "Ich hab dich SOO vermisst, Mensch."
Der rotgeringelte Schwanz zeigte in die Höhe und die breite Katerbacke rieb an Femkes Diensthose. Femkes Herz klopfte als sie das weiche Winterfell berührte. Sie schaute in seine Bernsteinaugen und sah kleine Sonnen, deren Strahlen ihre Augen aufleuchten ließen. Seine Schnurrhaare vibrierten als sie die kühlen Öhrchen vorsichtig warmrieb.
Femke setzte sich zwischen die Tatzen des venezianischen Löwens und der rote Freibeuter tretelte und stichelte ihre Oberschenkel. Die Rufe in der Ferne vermischten sich mit Vogelgezwitscher. Der Kater schnurrte.
"Wo bist du nur gewesen, mein kleiner Rötling? Ich hab so sehr auf dich gewartet." Eine Hummel summte vorbei. Die Rufe wurden lauter. "Feeemke! Wo bleibst du denn!" Die Spitze des Ringelschwanzes begann zu zucken.
Vorsichtig setzte Femke ihn auf den Boden und stand auf. Sie strich über den breiten Kopf. "Ich muss weg. Du weisst ja, wo du mich findest." Langsam ging sie über den Rasen und traute sich nicht noch einmal zurück zu schauen.
Am Häuschen wurde sie mit einem Fahrradklingeln begrüßt. "Mensch, wo warst du denn so lange? Ich hab ne brandeilige Sache, hier."
Das picklige Gesicht unterm Fahrradhelm zuckte. Femke nahm das Päckchen und kritzelte etwas auf ein Papier. Es sah aus wie ein Mäuseschwanz, aber das sah der Bote nicht. Humor war nicht seine Stärke. Er war ernsthaft verliebt in Femke. Sie sah ihm direkt in die Augen. Er wollte sich am Kopf kratzen, aber da war ja der Helm.
"Du hättest doch auch selber reingehen können. Ich muss mir doch auch mal die Beine vertreten können, oder nicht?"
Er schluckte und nickte abgehackt."Ja, ähem, ja natürlich. Aber ich wollte dich doch was fragen. Ähem… Du wolltest doch mal einen Ableger von meinem Ananassalbei, ja und da wollte ich dich fragen, ob du nicht mal vorbei kommen willst. Also ins Gewächshaus von meinem Alten, weil da ähem… sind noch viel mehr Pflanzen…ähem."
Es begann zu dämmern und Femke spürte wie die Abendbrise durch ihr Hemd kroch. "Rüdiger! Ich hab da im Moment nich so den Nerv für. Hab gerade echt anderes im Kopf. Hier läuft so ein Kater rum, weißt du. Was würdest du denn da machen?"
Er schaute sich verwirrt um. "Ach Gott, ja die Katzenviecher, die scheissen ja überall hin. Ja klar, das iss voll nervig. Vielleicht habt ihr ja noch Rattengift im Schuppen."
Er lachte und seine gelben Zähne schimmerten in der Dunkelheit. Als er sah wie sich ihre Augen verengten, sagte er hastig: "War ein kleiner Scherz!"
"Ach, warte, da hab ich auch noch was für dich." Femke huschte in ihr Häuschen, nahm etwas und kam hüftenwiegend heraus. Sie lächelte Rüdiger verführerisch zu. Er wich etwas zurück, da sie ihm sehr nahe kam.
Sie duftete nach Honig und er musste noch 2 Stunden arbeiten. "Ich habe eine Schwäche für Männer mit Humor." Er schaute verlegen auf den Boden. ZAKK! Er schrie auf.
Sie hatte mit dem Brieföffner in seinen Vorderreifen gestochen. "Aber Kerle, die auf Kosten der Tiere ihre Späße treiben, wecken ganz andere Instinkte in mir." Sie holte aus und stach in seinen Hinterreifen. Dann ging sie in ihr Diensthäuschen und rief einen Kollegen an.

"Ja, hallo Jan. Hier steht der Typ vom Velo-Express mit nem Platten, kannste den mal in die Stadt fahren? --- Ja, ja ich weiß. Ich mag ihn auch nicht besonders. Aber der heult mir schon die Ohren voll.--- Ja, gut sag ich ihm." Sie legte auf und schob das Fensterchen auf.
"Dein Taxi kommt gleich." Ein Fluchen war die Antwort.

Femke schaltete das Radio ein und ordnete unter voller Lautstärke ein paar Papiere. Als die Stapel alle säuberlich nebeneinander lagen, schaltete sie das Radio aus und die Außenbeleuchtung ein.
Der Park lag still und schön vor ihr. Sie zündete eine Kerze an und sah wieder die Bernsteinaugen vor sich. Sie saß bewegungslos vor der Flamme. Er fehlte ihr so. Sie versuchte sich vorzustellen, woher er kam. Sein Zuhause mit einer alten Frau, die strickte und er mit der Wolle spielte als Baby. Dann war sie bestimmt gestorben und er war ins Diensthäuschen gekommen um sich zu wärmen und lautlos zu trauern.
Irgendwann zogen neue Menschen in sein Zuhause und brachten Kinder mit, die begeistert mit ihm spielten und ihn mit ins Bett nahmen. Gestern oder heute musste er etwas verbrochen haben: einen Fisch aus dem Teich geangelt, ein Häufchen ins Blumenbeet, Flöhe ins Haus geschleppt. Er hatte kein Zuhause mehr. Sie sah in die Flamme und wusste, dass er auf der Suche war. In ihrer Diensthose waren kleine Löcher von seinen rosigen Krallen. Sie zuckte zusammen. Lautes Gehupe. "Tschüß, Femke. Bis morgen!" Die Feierabend-Menschen fuhren nach Hause. Sie schob das Fenster auf. "Tschüß. Schönen Feierabend!" Einer nach dem anderen fuhr vorbei.

Sie gingen alle zusammen zum Mexikaner um den neuen Auftrag zu feiern. Ein Landrover stoppte. "Hey, Femke. Was hast du denn mit dem armen Willy vom Velo-Express gemacht? Der war total aufgedreht." Femke steckte ihren Kopf aus dem Fenster.
"Ach nee, ich hab nichts mit ihm gemacht. Hab ihm nur gezeigt, dass Spass auch seine Grenzen hat." Jan lachte und drückte auf die Hupe. "Kommst du echt nicht mit? Schade, Mensch! Was hält dich nur hier in dem Kabuff?" Femke schüttelte den Kopf.
"Nee, nee, ich bleib lieber hier. Ich will noch Gartenpläne ausarbeiten. Aber dir wünsch ich viel Spaß, Jannemann, und bring mir keinen Kater mit morgen." Der Motor heulte auf und das Fensterchen wurde zugeschoben.
Die Kerze flackerte und das Wort KATER blieb in dem kühlen Raum hängen. Femke stand seufzend auf und ging zum Ofen. Sie machte die Ofenklappe auf, zerknüllte Zeitungspapier und legte es hinein. Dann legte sie Stöckchen drüber und zündete die Papierknäuel an. Sie streckte ihre Hand aus um einen Holzscheit zu packen, da fiel ihr Blick auf die rosa Wolldecke. Dort lag ein rostbraunes Haar. Sie packte es mit den Fingerspitzen. "Was ist das nur? Du gehst mir nicht aus dem Kopf."
Mit einer Hand schichtete sie Holzscheite neben und auf die züngelnden Flammen und schloß die Klappe. Draußen rief ein Waldkäuzchen und Femke setzte sich vors Fenster. Sie hielt immer noch das Haar fest. So versunken war sie, dass sie nicht bemerkte, wie eine Gestalt durch den Lichtkegel huschte. Femke wurde beobachtet. Ein Gesicht presste sich an die Fensterscheibe. "Mach auf!" Sie zuckte zusammen und ließ das Haar fallen.
War der pickelige Knabe zurückgekehrt? Das hätte gerade noch gefehlt. Sie ballte ihre Fäuste. An der Fensterscheibe war noch ein Hauch von Atem zu sehen. Sie stand auf, ihre Knie wackelten. Sie wusste: tief durchatmen und keine Panik! Irgendetwas stimmte nicht mit der Tür. War die eigentlich abgeschlossen? Ein schabendes Geräusch war zu hören. In der Ferne ein Autohupen. Zu weit weg. Sie war allein. Ihre Augen verengten sich. Sie wurde wütend.
Weglaufen oder abschließen hatte keinen Sinn. Sie musste sich der Gefahr stellen. KLACK! Sie drückte die Klinke runter und riss die Türe auf. "HAU AB, du Arschloch!" Er duckte sich und starrte sie mit angstgeweiteten Pupillen an.
Femke fing an hysterisch zu lachen. War sie jetzt verrückt geworden? Oder saß da ein roter Tigerkater mit zitternden Schnurrhaaren? Sie ging in die Hocke und streckte langsam die Hand aus. Der Kater schnupperte vorsichtig. Dann rieb er seine weiche Fellbacke genüßlich, aber feste an ihrem Knie.
Eine Stunde später rief wieder ein Waldkäuzchen. Der Kater lag auf der Wolldecke. Sein Schnäuzchen duftete nach Käse. Femke hatte ein rotes Ohr vom Telefonieren. Nach dem Schmusen und Abendessen hatte sie das Tierheim angerufen.
"Da haben Sie aber Glück, dass Sie noch jemanden erreicht haben. Wir machen nämlich um 6 Uhr zu, aber da kam doch noch jemand mit 6 Welpen..."
Femke traute sich nicht den Redefluß zu stoppen. Die Angst, dass der Rote doch ein Zuhause haben könnte, lähmte ihre Zunge.
"Ja, ich schau jetzt mal in unseren Bestand. Keine Tätowierung sagten Sie? Ist er denn kastriert? Ach, er schläft gerade. Na ja, vielleicht reichen die Angaben ja. Moment." Ein Rascheln war zu hören, Tastengedrücke, Schnaufen. Warum DAUERTE das denn so lange?
Der Kater putzte sich und sah Femke zwischendurch immer wieder mit Mandelaugen an. "Hallo! Sind Sie noch dran? Also, hören Sie, ich kann hier nichts finden. Geben Sie mir mal Ihre Adresse und Telefonnummer, dann rufe ich Sie zurück, wenn sich was ergibt."
Das war Femkes spannendstes Telefonat seit langem. Sie legte sich auf den Boden mit der Stirn am Katerkopf. "Noch ein paar Wochen müssen wir warten, mein Lieber. Wenn sich dann keiner meldet, darfst du bei mir bleiben. Willst du denn bei mir bleiben?" Ein Schnurren war die Antwort.

© Stefania Wloch
Auszug aus einem Romanmanuskript