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Brief an eine Katze

Liebe Katze,
du hast mir gestern ein Beutetierchen vor die Füße gelegt - sozusagen als Geschenk. Aber ich habe mich weder bei dir bedankt noch dich gelobt. Stattdessen habe ich dir ein Halsband mit Glöckchen verpasst. Jetzt sitze ich hier mit meinem schlechten Gewissen und sehe an deinem reservierten Verhalten, dass du mich nicht verstehst. Aber du weißt doch, dass ich nicht nur dich, sondern alles, was da kreucht und fleucht, beschützen möchte. Und du weißt auch, dass die Halter kleiner Raubtiere, zu denen du nun einmal gehörst, besonders der Kritik derer ausgesetzt sind, die selbst Fleisch essen. Da durch Zerstörung ihres Lebensraumes durch den Menschen die Singvögel erheblich reduziert wurden und der Verlust jedes einzelnen nun mit Entsetzen registriert wird, kann ich nicht zulassen, dass auch du dich an dem Raubzug beteiligst. Du siehst, ich befinde mich in einer moralischen Zwickmühle.
Ja, ich weiß, ein von dir erwischtes Beutetier hatte ein artgerechtes Leben in Freiheit - ganz im Gegensatz zu den Abertausenden von Tieren in Massentierhaltung, die ihr qualvolles Leben für den menschlichen Verzehr lassen müssen. Und wenns nur um das Sattwerden und Überleben ginge! Aber der Mensch konsumiert Tiere im Übermaß - gekocht, gebraten, gegrillt, verwurstet und als Paste, zu jeder Tageszeit, zu gesellschaftlichen Anlässen, aus purer Langeweile, gedankenlos, in Küchen, Stuben, Restaurants und Cafeterias, an Imbissbuden, auf Terrassen und Parkbänken, in Gärten, am Strand und anderswo. Die Folgekosten für Krankheiten aufgrund dieser Völlerei muss die Gesellschaft tragen, Vegetarier paradoxerweise eingeschlossen.
Ja, Katze, du hast Recht: Auch die Menschen sollten Halsbänder mit Glöckchen tragen! Nur hätten die eingesperrten Fleischlieferanten keine Chance; sie können sich nicht verstecken, können nicht wegrennen oder -fliegen.
Ich weiß, du verzeihst mir.
Deine Dosenöffnerin Mary

Danke an Mary (Juli 2003)