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Katzengedanken

Hier liege ich nun. Auf einer Fensterbank. Zum ersten mal nach einer langen Zeit finde ich die Gelegenheit über die Wirren der letzten Monde zu resümieren. Alles hat sich verändert. Nach vielen Tagen des Hungerns, Durstens und lauten Wehklagens erhörte man mich. Ich wurde befreit. Befreit aus einem Gefängnis, das einst mein zu Hause war. Ich weiß nicht wohin oder warum er ging. Sicher ist nur, er ging. Mein Mensch. Eines dieser armseligen, schutzlosen Wesen, ohne Pelz und ohne Krallen. Bei genauerem betrachten: nicht überlebensfähig.
Erstaunlich lange hat er durchgehalten. Unermüdlich schleppte er Dinge wie nicht mehr fangfrische Beute in kleinen bunten Dosen heran, um sie mir, einem zweifelsohne höher entwickeltem Wesen, als Opfer dar zu bringen.
Läßt sich hinter solchen scheinbar organisierten Handlungen so etwas wie Intelligenz vermuten? Ich bin nicht sicher. Sicher ist nur, er kam nicht zurück. Blieb irgendwo zwischen Beute machen, töten, in kleine mundgerechte Häppchen zerteilen und in bunte Döschen stecken auf der Strecke.
Er ließ mich allein. Ich war gezwungen auszuharren, und lauthals auf meine Notlage aufmerksam zu machen. Dann folgte eine Zeit der Läuterung. In einer kleinen Kiste verpackt wurde ich in eine Sammelstation gebracht. Hätte mir zu besseren Zeiten nie träumen lassen daß es so viele meiner Sorte gibt, denen der Mensch abhanden kam. Blieb lange genug unter ihnen um mich mit ihren Schicksalen vertraut zu machen. Gewissensbisse plagten mich. Hätte ich besser auf meinen Menschen achten sollen? Hätte ich sein drohendes Schicksal abwenden können? In mitten all dieser düsteren Gedanken erblickte ich SIE. Meine zweite Chance. Engelsgleich schwebte sie herein.
Sofort wurde sie von meinem Leidensgenossen umringt. Aber gegen meinen natürlichen Charme und meine rechte Pfote kam niemand an. Ich muß ihr wohl imponiert haben denn nun liege ich hier. Auf dieser Fensterbank, in ihrer äußerst geschmackvollen Wohnung. Es gibt eine Luke, durch die man ein- und ausgehen kann, ganz wie man möchte. Aber raus möchte ich selten, sie ist zu schön, zu angenehm und zu schutzlos, als das ich sie lange alleine lassen mag. Kann sie stundenlang dabei beobachten wie sie schläft. Wie lustig ihre Nase wackelt wenn meine Schnurrhaare sie dort kitzeln. Ich liebe sie.
Von dieser großen Liebe beseelt wanderte ich hinaus in die Nacht. Auf der Suche nach etwas, daß sich als geeignet erweist es ihr zum Opfer darzubringen. Ein Beweis dieser großen Liebe, die mir inne wohnt, seit ich sie zum ersten mal sah. Bald hatte ich die fetteste Maus der ganzen Umgebung in meinen Fängen. Noch lebend! Mit Absicht noch lebend, als kleiner Beweis dieser niemals enden wollenden Liebe.
Das Freudengeschrei hallt noch jetzt in meinen Ohren . Zugegeben, es zeugt nicht wirklich von Intelligenz, zu schreien, wenn ein noch lebendes Beutetier neben dem Kopf liegt, aber wen stört das schon, mich jedenfalls nicht wirklich. Erwies sie mir doch die große Ehre sich an der Jagd nach der, vor ihrem Ausdruck der Freude geflohenen, Maus zu beteiligen. Und wie wir jagten. Die ganze Nacht hindurch, Seite an Seite, Möbel durch die Gegend werfend. Den letzten Schlag tat ich, sie ist noch zu jung, und zu unerfahren. Aber sicher lernbegierig.
Nun ist es morgen, und ich bin alleine. Sie ging fort, und ließ mich zurück. Ich bin in großer Sorge. Wird sie die erst heute Nacht erlernten Techniken bei ihrem heutigen Beutezug anwenden? Wird sie gegen Hunde, Mäuse, Ratten, Frösche und Fliegen bestehen können? Panik überkommt mich. Sie ist zu jung und zu unerfahren. Schreckliche Bilder ziehen mir durch den Kopf. Ich sehe sie von Hunden zerfleischt und Ratten zerbissen am Boden liegen. Verzweiflung steigt auf. Begleitet von einem aus tiefster Seele kommenden Aufschrei springe ich von der Fensterbank. Der Gedanke an die Möglichkeit sie zu verlieren, sie schon verloren zu haben, während ich sinnlos auf der Fensterbank saß martert mich. Ich muß hinaus! Ich muß ihr helfen. Ihr, dem Geschöpf dem all meine Liebe gilt. Dem wichtigsten Wesen in meinem Leben.
Auf dem Weg zur Tür steigt mir ihr sanfter, lieblicher Geruch in die Nase. Ich halte inne. Und finde Trost und Linderung in meiner Qual. Auf dem Boden liegt ihr Bademantel. Fest grabe ich alle Krallen und meine Nase in den weichen Stoff, um mich von Ihrem Duft umströmen zu lassen. Nun kann kommen was will. Mag man mich wieder abtransportieren, in eine Kiste gepfercht, blind und ohne Orientierung, bis zum Erbrechen durch die Gegend schaukeln. Ich habe jetzt das Glück gesehen und wahre Liebe empfunden, und diesen Bademantel lasse ich nie mehr los, denn ihr Wohlgeruch schützt vor dem Elend und dem Schicksal der anderen Katzen in dieser Sammelstation.
Verflixt! Was ist nun passiert? Plötzlich finde ich mich auf einem Sessel wieder, mit ihrem Bademantel an den Füßen versteht sich. Ich muß wohl ein wenig eingeschlummert sein?! Verschlafen recke und strecke ich mich und versuche die Situation zu erfassen. Ich bin nicht in der Sammelstation, nein, dies ist mein zu Hause! Und dort, dort vorne in der Küche steht sie, Objekt meiner Leidenschaft und Begierde. Sie scheint auf ihrem Beutezug erfolgreich gewesen zu sein. Sie ist unversehrt und wohl auf. Erleichtert spaziere ich in die Küche. Was sie wohl mitgebracht hat?
Desinteresse heuchelnd stolziere ich an den Tüten vorbei, um den ein anderen Blick hinein zu werfen. Nach ein paar freundlichen Gesten der Begrüßung hat sie mit dem auspacken angefangen. Zunächst kann ich nicht glauben was sie zwischen all dem nutzlosen Grünzeug auf den Küchentisch zaubert. Erstaunt schaue ich mir das ganze aus der Nähe an. Da hat es dieses kleine, sanfte, Persönchen doch geschafft ein Huhn zu erbeuten! Nun gut, ihren ureigensten Instinkten folgend hat sie es in eine Plastikumhüllung gesteckt, aber dennoch: Stolz kommt in mir auf.
Jede, aber auch jede Katze weiß wie schwierig es ist ein Huhn zu fangen. Man muß Zäune überwinden und Hunde überlisten. All das hat sie in einer einzigen Nacht von mir erlernt! Obwohl ich ihr Mangels Übungsmaterial doch gar nicht zeigen konnte wie man Hunde überlistet oder am besten über Zäune klettert! Wie sie das wohl so schnell gelernt hat? Vielleicht hat sie es sich selber beigebracht?!
Zweifelsohne, sie ist ein Naturtalent. Was wird sie mit ein bißchen Training nicht noch alles erreichen können! Gleich heute Nacht werde ich sie in die Geheimnisse der Rattenjagd einweihen. Ich schlendere gähnend zurück zu meiner Fensterbank und strecke mich dort in der Sonne aus. Ich muß noch ein wenig Kraft für die kommenden Beutezug sammeln. Aber soviel steht mal fest: Sorgen muß ich mir jetzt nicht mehr um sie machen! Sie ist ganz sicher in der Lage, in dieser großen und, zumindest für Wesen ohne Pelz und Krallen, gefährlichen Welt, zu Recht zu kommen. Meine kleine Ehrenkatze!

Herzlichen Dank an Ellen!